Papst, Globi, Blocher: Walter Andreas Müller kann sie alle. Im Interview blickt das langjährige network-Mitglied auf seine Schauspielkarriere und sein relativ spätes Coming-out zurück.
WAM, du hast im Mai den Ehren-Prix Walo für dein Lebenswerk erhalten – davon hattest du an jenem Abend jedoch nichts geahnt. Wie hast du diesen Moment erlebt?
Als Monika Kaelin auf der Bühne stand und ich nach zwei, drei Sätzen merkte, dass sie offenbar von mir sprach, bin ich etwas erschrocken. Auch, weil ich mich in der Vergangenheit manchmal kritisch über den Prix Walo geäussert hatte. Wenn zum Beispiel ein Hausi Leutenegger einen Preis für sein «filmisches Lebenswerk» erhält, ist das schon schräg. Ich kokettierte daher mit dem legendären Auftritt von Marcel Reich-Ranicki beim Fernsehpreis 2008 (in Reich-Ranickis Stimme): «Ich nehme diesen Preis nicht an!»
Das wäre ja ein Ding gewesen…
Nein, letztlich habe ich mich wirklich gefreut. Es ist eine schöne Anerkennung. Und es ist bei mir ja tatsächlich einiges zusammengekommen in den vergangenen Jahrzehnten. Ich habe gehört, dass sich über 7’000 Dokumente mit einem Bezug zu mir im Archiv des Schweizer Fernsehens SRF finden. Mit Betonung auf «Archiv», denn Neues von mir zeichnen sie ja nicht mehr auf…
Da klingt etwas Missmut heraus.
Es ist gut, dass junge Talente und neue Formate gefördert werden. Ich hatte kürzlich wahnsinnig viel Spass in «Late Night Switzerland» bei Stefan Büsser. Aber ich glaube, das Fernsehen setzt aufs falsche Pferd, wenn es für ein eher älteres Publikum fast nur noch junge Unterhaltungsprogramme produziert. Ich stand in den letzten Jahren 187-mal für das Musical «Sister Äct» und 200-mal für die Komödie «Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde» auf der Bühne – über eine Aufzeichnung davon hätte sich das SRF-Publikum bestimmt gefreut.
Die Absetzung deiner Bundesrats-Sitcom «Classe politique» mit Birgit Steinegger war für dich auch unverständlich. Am falschen Ort gespart?
Definitiv. Viele Leute vermissen diese Sendung, das weiss ich aus persönlichen Gesprächen.
Auf welche Rolle wirst du am häufigsten angesprochen?
Ganz klar auf Alt-Bundesrat Christoph Blocher.
Welcher aktuellere Bundesrat würde dich als Figur reizen?
Ich brauche immer Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten. Da kommt mir spontan Alain Berset in den Sinn. Die Stimme wäre einfach, aber es bräuchte noch die richtige Maske. Die Maske macht 50 Prozent einer guten Imitation aus. Für Samuel Schmid dauerte das jeweils zweieinhalb Stunden – bei Christoph Blocher hingegen reicht die Brille und eine kurze Frisuranpassung.
Blocher und überhaupt alle von dir imitierten Politiker sind ja begeistert von deiner Leistung. Heisst das vielleicht im Umkehrschluss, dass du mit ihrer Imitation nicht gerade die Grenzen der Satire auslotest?
Ich hatte zumindest nie eine Klage am Hals. Wir waren stets um eine professionelle Herangehensweise bemüht, die den Figuren gerecht wird. Ich nenne das «ernsthaft komisch». Mit anderen Worten: Wir gingen nie wirklich unter die Gürtellinie. Dabei konnte ich auf meine langjährigen Autoren vertrauen.
Heisst es an network-Anlässen jeweils «Komm, mach uns mal den Blocher»?
Das ist vorgekommen! Aber natürlich auch ausserhalb von network, da gibt es sogar Wünsche nach kostenlosen Spontanauftritten. Und dann soll ich am besten noch zwischen den Stimmen von Globi und Blocher hin und her wechseln. Wenn es mir zu bunt wird, sage ich einfach: «Hören Sie, so einen Auftritt könnten Sie gar nicht bezahlen!» (lacht)
Für network Zürich bist du vor einem Jahr für einen guten Zweck quasi in eine alte Rolle geschlüpft.
Du meinst am network Social Dinner?
Genau! Du hast dort als Kellner serviert, wie damals Hans Meier in der legendären Sitcom «Fascht e Familie». Begrüsst du den Ansatz des Social Dinners, sich ausserhalb der LGBTI-Community einzusetzen?
Ja, dass sich eine queere Organisation auch auf diese Weise engagiert, setzt ein gutes Zeichen; das hat mit Sicherheit eine positive Wirkung auf die Akzeptanz in der Gesellschaft.
Du hast in deiner Karriere zahlreiche Politiker gespielt, äusserst dich als WAM aber so gut wie nie politisch.
Ich bleibe da zurückhaltend und neutral. Das liegt in erster Linie daran, dass es keine Partei gibt, mit der ich mich gänzlich identifizieren könnte. Je nach Thema vertrete ich Standpunkte aus unterschiedlichen Bereichen des politischen Spektrums. Unter dem Strich würde ich mich irgendwo Mitte-links positionieren.
Über LGBTI-Errungenschaften wie die Ehe für alle freust du dich aber, oder?
Selbstverständlich! Dort hatte ich mich in den Medien auch ungewohnt stark aus dem Fenster gelehnt. Selbst wenn ich nicht davon Gebrauch machen werde, freue ich mich, dass wir nun diese Möglichkeit haben. Mein Partner und ich haben die Vor- und Nachteile für uns persönlich abgewogen und uns schliesslich gegen eine Heirat entschieden.
Dein Partner, den du nach dessen Schlaganfall zehn Jahre lang zuhause gepflegt hast, ist seit einiger Zeit im Pflegeheim. Wäre gerade in so einem Fall die Eheschliessung nicht sinnvoll?
Ich darf sagen, dass ich zum Glück noch nie Probleme hatte, ihn zu sehen oder medizinische Auskunft zu erhalten. Die erbrechtlichen Angelegenheiten haben wir inzwischen mit Testamenten geregelt.
Auch um deinen Partner zu schützen, hast du erst vor etwa 20 Jahren angefangen, öffentlich über dein Schwulsein zu sprechen. Hat das deine Karriere irgendwie beeinflusst?
Nein, in meiner Branche ist das glücklicherweise kein Thema. In meinem Freundeskreis, meiner «Schauspiel-Bubble», war das ohnehin schon länger bekannt. Dort habe ich manchmal den Spruch gehört, dass man mir das überhaupt nicht ansehe. Ich habe das damals bedauerlicherweise als Kompliment aufgefasst. Für diese Gefühle schäme ich mich heute noch.
Dürfen heterosexuelle Schauspieler Schwule spielen?
Eine völlig absurde Debatte. Natürlich dürfen sie das – genauso wie ich Heteros spiele. Unsere Aufgabe beinhaltet in erster Linie, Menschen ein Gesicht zu geben.
Genau das hast du die letzten Jahre auf der Bühne hundertfach getan. Zeit für eine Pause?
Richtig, jetzt geht es auf Reisen: Unter anderem stehen Nizza, Panama und Mexiko auf dem Programm. Aktuell arbeite ich zudem am Skript des nächsten Globi-Hörspiels, das im Februar erscheinen wird. Und das Schweizer Fernsehen bringt am Weihnachtstag ein ausführlicheres Porträt über mich.
Also doch neues Material fürs SRF-Archiv! Darf ich noch einen Vorschlag machen? Moderiere mal wieder im Radio wie am 1. April, als du überraschend durchs Wunschkonzert geführt hast!
Vielleicht wiederholen wir das tatsächlich, wer weiss! Ich hatte 1975 als Sprecher beim Radio DRS angefangen und dort bis 2017 sehr gerne gearbeitet. Das Wiederhören mit dem Publikum hat mir enorm viel Vergnügen bereitet.
Dir wurde so viel Liebe entgegengebracht, das war grossartig. Nächstes Jahr wirst du 80. Ist im Jubiläumsjahr wieder etwas für die Bühne geplant?
Ein sehr spezielles «Geburtstagsprojekt» – mehr möchte ich aber noch nicht verraten.