Im Fokus 16.6.25
«Eine Schauspielschule muss ein Ort sein, an dem du lernst, zu sein»

Bereits im Alter von 22 gründete Gérard Diggelmann in Lausanne seine eigene Schauspielschule. Für das Neumitglied von network Vaud sind die Mitmenschen bis heute seine grösste Inspirationsquelle.
Gérard, du bist in Südfrankreich aufgewachsen. Dein Vater – der Nachname «Diggelmann» verrät es – ist deutschschweizerischer Abstammung; deine Mutter wiederum ist spanisch-marokkanischer Herkunft. Wie war deine Kindheit?
Sie war geprägt von einer ziemlich strengen Erziehung, aber auch von Weltoffenheit. Jahrelang war ich unter der Woche im Internat und am Wochenende bei meiner Familie. Der Tisch war bei uns ein geselliger Ort des Teilens, des Austauschs und der Überraschungen. Hier habe ich im Kontakt mit unterschiedlichsten Gästen gelernt, die Welt und die Menschen zu verstehen. Dank ihnen habe ich verstanden, was es bedeutet, frei zu sein. Wenn ich ihnen zuhörte, hatte ich das Gefühl, dass alles möglich ist und dass es unendlich viele Lebensentwürfe gibt.
Du hast dann eine Schauspielausbildung absolviert und in Lausanne bereits mit 22 deine eigene Schauspielschule eröffnet. Bemerkenswert in diesem Alter!
Wenn du jung bist, denkst du nicht daran, was du verlieren könntest – es ist nur die Erfahrung, die zählt. Mir war damals bewusst, dass mir der Beruf des Schauspielers keine kontinuierliche Arbeit bieten würde. Gleichzeitig stellte ich fest, dass es in Lausanne noch keine Schauspielschule gab, die von morgens bis abends geöffnet war. Dank der Unbekümmertheit und Spontaneität meines jungen Alters wagte ich den Schritt. Zu Beginn hatte ich nur einen einzigen Schüler.
Doch im Nu füllten sich die Kurse…
Genau, ich konnte bald Lehrkräfte einstellen, und bis zu ihrer Schliessung im Jahr 2021 hatte die «École de Théâtre Diggelmann» insgesamt 450 Schüler:innen.
Viele von ihnen wurden Schauspieler:innen, Regisseur:innen oder Moderator:innen. Du hast mal geschrieben, deine Schauspielschule war eine «Lebensschule». Wie meinst du das?
Eine Schauspielschule muss ein Ort sein, an dem du lernst, zu sein. Man arbeitet an sich selbst und mit sich selbst im Kontakt mit anderen. Es braucht Demut, Grosszügigkeit und die Fähigkeit zu Staunen, um gemeinsam erschaffen zu können. Die fünf Grundbegriffe meiner Unterrichtsmethode fassen für sich allein schon den Begriff «Schule des Lebens» zusammen: marcher – regarder – écouter – donner – recevoir.
Denkst du, dass auch Unternehmen und Führungspersönlichkeiten davon profitieren könnten?
Ja, einerseits um die Gruppendynamik zu stärken, andererseits um sich selbst besser kennenzulernen, mit Stress besser umzugehen, leichter zu kommunizieren, sich der eigenen Stärken und Schwächen bewusst zu werden und das kreative Potenzial zu erhöhen. Meine Seminare in Unternehmen haben gezeigt, wie wertvoll solche Impulse sind.
Erzähl uns bitte noch von deinem aktuellen Theaterprojekt.
Zurzeit arbeite ich mit Regisseur Benjamin Knobil und Schauspieler Jean Natto am Stück «Pour un oui ou pour un non» von Nathalie Sarraute. Wir spielen auf Anfrage in privaten Räumen – das ist eine wunderbare Erfahrung.
Wir wissen jetzt, weshalb du Schauspiellehrer geworden bist – aber weshalb bist du Networker geworden?
Ich mag diese Idee eines Bündnisses, das gemeinsam arbeitet, sich gegenseitig unterstützt, sich für LGBTI-Anliegen einsetzt und Themen wie Respekt und Vielfalt in den Vordergrund stellt.
Hast du auch Zeit für Hobbys fernab von network und der Bühne?
Neben dem Theater entstehen meine Leidenschaften durch andere und durch das Reisen. Meine Lieblingsdestination ist Griechenland, wo ich mit meinem Freund Patrick ein Haus habe. Die Grosszügigkeit, die Herzlichkeit und die Lebensfreude der Einheimischen berühren mich. Ich liebe auch den Himmel und das Licht dieses Landes zu jeder Jahreszeit; es strahlt eine beruhigende Sanftheit aus.