Ehe für alle 4.8.17
«Geduld ist gefragt – und Hartnäckigkeit»

Die parlamentarische Initiative «Ehe für alle» ist bis auf Weiteres zwar auf Kurs. Bis die Ehegleichheit aber Realität wird, dauert es noch. Ein Überblick.
Die parlamentarische Initiative «Ehe für alle» befindet sich schon seit fast vier Jahren in der Politpipeline – die grünliberale Nationalrätin Kathrin Bertschy reichte ihren Vorstoss Ende 2013 ein. Die Forderung: Alle rechtlich geregelten Lebensgemeinschaften seien für alle Paare zu öffnen, ungeachtet ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung. «Auch gleichgeschlechtliche Paare sollten heiraten und ungleichgeschlechtliche Paare eine eingetragene Partnerschaft begründen können», heisst es in der Begründung der Initiative.
Ein Hin und Her
Es verging mehr als ein Jahr, bis die Rechtskommission des Nationalrates auf die Vorlage eintrat. Am 20. Februar 2015 war es soweit: Die Kommission gab der Initiative Folge. Daraufhin ging das Geschäft – dem üblichen Verfahren entsprechend – an die Rechtskommission des Ständerates. Diese nahm die Initiative am 1. September desselben Jahres an, womit das sogenannte Vorprüfungsverfahren beendet war. Dass dieses so reibungslos verlief, ist nicht selbstverständlich. Dies zeigt das Beispiel der zweiten parlamentarischen Initiative mit LGBT-Bezug, die derzeit hängig ist: Die Initiative «Kampf gegen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung» wurde im März 2013 von SP-Nationalrat Mathias Reynard eingereicht und von der nationalrätlichen Rechtskommission Anfang 2014 gutgeheissen. Im darauffolgenden Sommer verweigerte die Kommission des Ständerates aber ihre Zustimmung, woraufhin die Vorlage ans Nationalratsplenum ging. Dieses gab dem Geschäft im März 2015 Folge, einen Monat später nahm beim zweiten Anlauf auch die Rechtskommission des Ständerats die Initiative an.
Zwei Jahre: Nicht genug
Nach Abschluss der Vorprüfungsverfahren begann bei beiden Initiativen das «Verfahren zur Ausarbeitung eines Erlassentwurfs». Will heissen: Die Kommission des Nationalrates erhielt den Auftrag, innert zwei Jahren einen Gesetzesvorschlag zu erarbeiten. Die Zweijahresfrist reichte der Kommission aber bei beiden Vorlagen nicht aus. «In solchen Fällen muss das Ratsplenum darüber befinden, ob die Frist um weitere zwei Jahre verlängert werden soll», erklärt PoKo-Leiter Hans-Peter Fricker. Was die «Initiative Reynard» angeht, so stimmte der Nationalrat der Fristerstreckung im März des laufenden Jahres zu. «Vielleicht gewinnen wir hier nun etwas Tempo», sagt Hans-Peter. «Eine erste Version für den Gesetzesvorschlag steht, im Juni wurde er allen interessierten Parteien und Organisationen zur Vernehmlassung geschickt. Auch Network wird daran teilnehmen. Die PoKo wird sich Ende August mit diesem Text befassen.»
«Ehe für alle» – im Grundsatz weiterhin unterstützt
Auch im Hinblick auf die «Ehe für alle» hat die Rechtskommission des Nationalrats eine Fristverlängerung beantragt. Dieses Ersuchen wurde damit begründet, dass mehr Zeit vonnöten sei, um die Auswirkungen einer Eheöffnung auf die verschiedenen Rechtsbereiche zu evaluieren. Die entsprechenden Abklärungen soll dabei die Bundesverwaltung machen. «Tatsache ist, dass die Eheöffnung weitgehende gesetzliche Anpassungen erfordert, unter anderem im Steuer-, Sozialversicherungs- und im Adoptionsrecht», so Hans-Peter. Im vergangenen Juni hat die grosse Kammer die Fristerstreckung mit 118 zu 71 Stimmen bewilligt. «Das ist erfreulich», sagt der PoKo-Leiter. «Der Entscheid zeigt, dass der Nationalrat die Eheöffnung im Grundsatz weiterhin unterstützt. Mindestens will er sich später mit einer ganz konkreten Vorlage befassen können.»
Die Mühlen der Politik
Und wie geht es mit den beiden Initiativen nun weiter? «Ich gehe davon aus, dass die Gesetzesentwürfe in zwei Jahren stehen und eine zusätzliche Fristerstreckung im Nationalrat nicht erforderlich sein wird», sagt Hans-Peter. Geritzt wäre die Sache damit aber noch nicht: Der Nationalrat muss einen Gesetzes- oder einen Bundesverfassungsartikelvorschlag annehmen, dann kommt dieser zur Beratung in den Ständerat. «Da beginnt das Spiel von Neuem. Auch die ständerätliche Kommission kann noch Abklärungen und Studien verlangen. Sie ist nicht an den Vorschlag des Nationalrates gebunden», sagt Hans-Peter. Gut möglich sei, dass die kleine Kammer den nationalrätlichen Vorschlag anpassen wolle. «Wie in vielen andern Fällen wird es wahrscheinlich zu einem Differenzbereinigungsverfahren kommen – und das frisst erneut eine gewisse Zeit.» Das bedeutet: Es kann ohne Weiteres 2021 werden, bis die Gesetzes- oder Verfassungsänderung beschlossene Sache ist. «Und nicht zu vergessen, dass die Vorlagen allenfalls auch noch vors Volk müssen!», gibt der PoKo-Leiter zu bedenken. Gerade bei der «Ehe für alle» sei dies sehr wahrscheinlich. Für die LGBT-Community und deren politischen Akteure heisst das vor allem eines: «Zum einen müssen wir geduldig sein», meint Hans-Peter. «Zum anderen gilt es, sehr hartnäckig zu bleiben, den Prozess wachsam zu beobachten und allenfalls zu versuchen, neue Anstösse zu geben.»
Text: Markus Stehle