Michael Lauber im Interview 14.8.25
«Ich machte meistens Jobs, die kaum jemand wollte»

Vom Bundesanwalt zum Synodalrat: Networker Michael Lauber spricht im Interview über Karrierechancen, Machtspiele, Staatsgewalten – und seinen neuen Job in der Christkatholischen Kirche.
Michael, du bist gerade in Bogotá – beruflich oder privat?
Beides: Ich durfte an der juristischen Fakultät der Universidad del Rosario eine Vorlesung auf Spanisch halten – eine spannende Erfahrung. Und daneben blieb noch Zeit für private Treffen mit Freunden und Bekannten.
Ist Kolumbien für Schwule sicher?
In Bogotá gibt es das «Theatron», den grössten queeren Club Südamerikas mit Platz für bis zu 5’000 Schwule. Da kannst du haben, was du willst, habe ich gehört: Bailar (also Party), Sex, Saunas, Dampfbad. Ich bin da aber nicht rein; die Musik ist mir viel zu laut. Generell jedoch ist die Situation wie in vielen Ländern: in den Städten gut, auf dem Land eher weniger.
Die Ehe für alle hatte Kolumbien lange vor der Schweiz. Meintest du das, als du in einem Interview sagtest, die Mühlen bei uns würden langsam mahlen?
Die Ehe für alle ist sicher ein Beispiel dafür, ja. Es braucht Menschen, die an diesen politischen Realitäten rütteln – am besten junge Menschen. Meine Devise lautet: Die Jungen haben immer recht. Ihnen gehört die Welt, ich hingegen bin ein Auslaufmodell. Für gute, neue Ideen sollten wir Junge führen lassen, einfach mal mit Vertrauen ins kalte Wasser werfen. Ich selbst konnte in meiner Laufbahn solche Chancen wahrnehmen.
War das Glück? Oder hast du das irgendwie erzwungen?
Ich machte meistens Jobs, die kaum jemand wollte. 1992 wurde ich Untersuchungsrichter in Bern – es war eine befristete Stelle, die in dieser Form neu war. Oder später meine Zeit in Liechtenstein: «Wer will denn ins kleine, konservative Liechtenstein?» Da wagte sich eigentlich niemand ran. Einfach mal einfädeln und loslegen, aufbauen und gestalten, fix it! Mit einem Vertrauensvorschuss und einem guten Team ist alles möglich.
Angesichts deiner Motivationskraft ist es kein Wunder, wollten dich die Young Professionals für ihren Startanlass unbedingt als Speaker haben.
Und ich habe sofort zugesagt, das ist eine grossartige Sache! Dass wir einen jungen Präsidenten haben, ist ebenfalls ein wunderbares Zeichen des Aufbruchs. Das heisst aber nicht, dass die älteren Mitglieder mit ihrer Erfahrung keine wichtige Rolle mehr haben, im Gegenteil. Ich denke, der Austausch zwischen den Generationen im Rahmen eines Mentoring-Programms wäre für alle Beteiligten eine grosse Bereicherung.
Du warst stets in eher konservativen Berufsfeldern tätig. Hast du jemals Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt?
Das war eigentlich nie ein Thema. Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass ich mit einer grossen Selbstverständlichkeit damit umgegangen bin und nie auf bemitleidenswerte Minderheit gemacht habe. Ich habe mich im Beruf auch nicht mit meiner Homosexualität identifiziert: Ich war kein schwuler Bundesanwalt, sondern Bundesanwalt und schwul. Nur vor meiner zweiten Wiederwahl habe ich hinter den Kulissen einige Dinge gehört, die unter der Gürtellinie waren; aber das sind Machtspiele, da ist jedes Mittel recht.
Dein Rücktritt als Bundesanwalt nach der «FIFA-Affäre» vor fünf Jahren – darüber müssen wir natürlich auch kurz sprechen. Man legte dir unter anderem eine Verletzung der Protokollierungspflicht zur Last.
Es war juristischer Nonsens, ein absurder Witz. Bis heute konnte mir niemand darlegen, dass es eine Pflicht gab, solche Gespräche zu protokollieren. Und ich habe auch nie die Unwahrheit gesagt.
Die Sache sei für dich abgeschlossen, aber du findest noch immer, dass du ungerecht behandelt wurdest. Das hast du kürzlich im Radio SRF gesagt. Meinst du damit die Medien oder die Politik?
Primär die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft. Dass ich von der AB-BA, so wie sie seit 2019 geführt wird, nichts halte, ist kein Geheimnis. Sie hat sich, ohne die Kompetenz zu haben, in juristische Fragen eingemischt, die in die Funktion des Bundesanwalts gehören. Die hatten ein Vertrauensproblem mit mir, obwohl sie mich seit acht Jahren kannten. Die Politik und die Medien kamen später hinzu: Anderthalb Jahre lang waren dann alle Kanonen auf mich gerichtet. Wenn ich einer Partei angehört hätte, wäre das wohl nicht passiert – aber das ist das Risiko eines unabhängigen Bundesanwalts.
Und irgendwann war es zu viel.
Wenn Person und Amt in der öffentlichen Wahrnehmung derart verschmelzen, ist es Zeit, aufzuhören.
Heute hast du ein neues Leben: Du bist seit Sommer 2024 Synodalrat der Christkatholischen Kirche der Schweiz und dort unter anderem für die Kommunikation zuständig. Ein ziemlicher Bruch!
Naja, ich erlebe es nicht als Bruch. Es ist eine sinnvolle Aufgabe, die mir Freude macht. Ich bin an einem Punkt angelangt, wo ich es mir so einrichten möchte, wie es mir gefällt. Ich brauche keine Jobs mehr mit der Intensität einer Bundesanwaltschaft. Die Anfrage der Kirche kam aber auch für mich überraschend, denn ich bin zwar christkatholisch aufgewachsen, war aber gegenüber Religionen und Dogmen seit jeher kritisch eingestellt.
Du wolltest also als Kind nicht Pfarrer werden wie dein Vater?
Nein, überhaupt nicht. Ich nahm lieber Englisch statt Altgriechisch. Ich wäre auch nicht der richtige Typ dafür. Doch die Kirche als solche – ohne zur Ideologie verkommene Dogmen und ohne weltfremde Diskurse – kann wichtige Werte vermitteln.
Im Oktober erscheint deine Biografie «Ein Leben für Verantwortung und Selbstbestimmung» im Weber Verlag. Kannst du uns dazu noch etwas erzählen?
Das ist ein richtiges network-Werk, denn dahinter steckt PoKo-Leiter Dyami Häfliger, der Geschäftsleiter des Verlags. Beim Event der Young Professionals haben wir viel gesprochen, und er ist dann mit dieser Buchidee auf mich zugekommen.
Dann musst du unbedingt für network mal eine Lesung halten!
Das haben wir uns auch so vorgestellt. Konkret geplant ist aber noch nichts.
Lass uns mit einer ganz grossen Frage schliessen: Funktioniert die Gewaltenteilung in der Schweiz? Du hast politische Einflussnahme ja selbst erlebt. Sollten etwa Bundesrichter nicht durch das Volk gewählt werden?
Darüber könnten wir bei einem Bier sicher stundenlang diskutieren, das wäre spannend. Kurz gesagt: Ich finde, das heutige System ist nicht perfekt, aber auf Bundesebene immer noch das klügste und transparenteste. Entscheidend ist, dass wir unseren Institutionen vertrauen. Dieses Grundvertrauen ist für unsere Gesellschaft enorm wichtig. Wenn es einmal zerstört ist, lässt es sich nur ganz schwer wiederherstellen. Und genau deshalb war es so gefährlich, dass Politik und Presse in meinem Fall dieses Vertrauen untergraben haben.
Blieb dein eigenes Vertrauen unerschüttert?
Nein, aber es ist noch vorhanden. Das System funktioniert. Aber: Es ist vor allem auch eine Frage der Menschen im Amt und nicht des Systems an sich.