Update der Po-Ko 4.11.16
Keine LGBT-relevante Volksabstimmung im 2017

Willkommene Verschnaufpause für die Schweizer LGBT-Gruppierungen: Nächstes Jahr müssen sie keinen nationalen Abstimmungskampf bestreiten.
Noch vor ein paar Monaten sah es so aus, als müssten sich die Schweizer LGBT-Verbände im kommenden Jahr gleich auf zwei Abstimmungskämpfe vorbereiten. Einerseits hatten bürgerlich-konservative Kreise Ende Juni angekündigt, gegen die vom Parlament beschlossene Einführung der Stiefkindadoption für gleichgeschlechtliche Paare das Referendum zu ergreifen. Sie formten das Komitee «Nein zu diesem Adoptionsrecht» und gingen auf Unterschriftenfang, um in dieser Sache eine Volksabstimmung zu erzwingen. Diese wäre – im Falle eines Zustandekommens des Referendums – wahrscheinlich auf den nächsten Februar gefallen. Andererseits war damit zu rechnen, dass das Stimmvolk im 2017 über die «Erleichterte Einbürgerung für eingetragene Partnerinnen und Partner» zu befinden haben würde. Dieser Vorlage hatten sowohl der Nationalrat als auch die Staatspolitische Kommission des Ständerats bereits im Frühjahr zugestimmt. Was noch fehlte, war das JA im Plenum des Ständerats. Danach wäre das Geschäft obligatorisch vors Volk gelangt, da es sich bei diesem Thema um eine Verfassungsänderung handelt.
Wichtige Entwicklungen
Nun präsentiert sich die Sachlage anders: Zum einen wurde Anfang Oktober bekannt, dass es dem «Nein-Komitee» nicht gelungen war, die für ein Referendum erforderlichen 50’000 Unterschriften zu sammeln. In der Schweiz wird die Stiefkindadoption damit endgültig auch gleichgeschlechtlichen Paaren ermöglicht. Zum anderen beschloss der Ständerat in der Herbstsession, das laufende Geschäft zur erleichterten Einbürgerung zu sistieren – vorerst einmal für ein Jahr, einer länger andauernden Aufschiebung müsste der Nationalrat noch zustimmen. «Begründet wird die Sistierung damit, dass im Parlament ja bereits die Vorlage zur ‹Ehe für alle› hängig sei» sagt PoKo-Leiter Hans-Peter Fricker. «Die Eheöffnung würde die Debatte über eine erleichterte Einbürgerung hinfällig machen. Deshalb will man auf letztere erst zurückkommen, wenn man bezüglich der Ehe mehr weiss.» Und das wird laut Hans-Peter Fricker noch eine Weile dauern. Er geht davon aus, dass die Rechtskommission des Nationalrates ihre Beratungen zu einem konkreten Gesetzesentwurf im nächsten Januar beginnt. «Es ist unklar, wie lange es dauert, bis ein allfälliger Vorschlag ausgearbeitet ist und dann zur Beratung ins Nationalratsplenum gelangt.»
Aus Zwei wird Null
In der Konsequenz heisst das Folgendes: «Im 2017 werden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nicht über die erleichterte Einbürgerung befinden, und die Abstimmung zur Stiefkindadoption ist sowieso vom Tisch», fasst Hans-Peter zusammen. «In absehbarer Zeit müssen wir also keinen nationalen Abstimmungskampf führen – das ist sehr gut so!» Was Network angehe, so sei klar, dass der Fonds Max dennoch wieder geäufnet werden müsse. «Es geht darum, für künftige Kampagnen gewappnet zu sein», erklärt Hans-Peter. «Aber wir können das Ganze etwas ruhiger und ohne direkten äusseren Druck angehen.»
NEIN in kantonaler Abstimmung wichtig
Unmittelbar bevor steht hingegen eine kantonale Abstimmung mit LGBT-Relevanz. Ende November entscheidet das Zürcher Stimmvolk über die Volksinitiative «Schutz der Ehe». Diese wurde von der konservativen Eidgenössisch-Demokratischen Union EDU eingereicht. Die Initianten wollen die Ehe in der Kantonsverfassung als Verbindung zwischen Mann und Frau definieren – und damit gleichgeschlechtlichen Paaren in Zürich die Ehe verbieten. «Eine sehr leidige Angelegenheit», sagt Hans-Peter Fricker. «Es liegt gar nicht in der Kompetenz der Kantone, das Eherecht zu regeln. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine Bundesangelegenheit.» Deshalb sei es bedauernswert, dass die zuständigen Behörden die Initiative nicht für ungültig erklärt hätten. Man dürfe zwar von einer Ablehnung ausgehen, denn das Zürcher Stimmvolk sei erfahrungsgemäss gesellschaftsliberal eingestellt, so Hans-Peter. «Wichtig ist aber, dass das NEIN sehr deutlich ausfällt, weil damit ein wichtiges Signal im Hinblick auf die Diskussionen rund um die Eheöffnung ausgesendet wird.» Um einer Annahme entgegenzuwirken, wurde unter der Führung der Homosexuellen Arbeitsgruppen Zürich HAZ ein Nein-Komitee gegründet. «Dieses wird von der PoKo finanziell unterstützt, und Peter Christen vertritt Network im Komitee. Die Zürcher Networker sind aufgefordert, in ihrem Umfeld gegen die Initiative zu werben und das HAZ-Komitee bei seinen Aktionen finanziell oder persönlich zu unterstützen.»
Beobachten und dranbleiben
Auf nationaler Ebene befinden sich noch zwei weitere Geschäfte mit LGBT-Bezug in der Pipeline. Die parlamentarische Initiative «Kampf gegen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung» von SP-Nationalrat Mathias Reynard zielt darauf ab, das öffentliche Aufrufen zu homophob motiviertem Hass künftig unter Strafe zu stellen. Deshalb soll die bestehende Bestimmung des Strafgesetzbuches zum Kampf gegen die Rassendiskriminierung dahingehend erweitert werden, dass auch die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung verboten wird. «Diese Initiative befindet sich im gleichen Stadium wie die ‹Ehe für alle›. Es liegt an der Rechtskommission des Nationalrats, einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten», erklärt Hans-Peter Fricker. «Im Gegensatz zur Ehe-Vorlage erwarten wir bei der Initiative Reynard aber keine Volksabstimmung.»
Schliesslich wurde im August die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative der SVP eingereicht. «Deren Annahme könnte dazu führen, dass die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) kündigen muss», so Hans-Peter. «Nicht zuletzt für uns LGBT wäre das ein herber Rückschlag.» Seitens der PoKo wolle man deshalb vereinsintern weiterhin zur EMRK und zur SVP-Initiative informieren und auf deren Chancen beziehungsweise eben deren Gefährlichkeit hinweisen. «Auch bei diesem Thema bleiben wir dran.»
Text: Markus Stehle