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Tschetschenien 5.5.17

Network unterstützt Homosexuelle in Tschetschenien

Die russische NGO «Russian LGBT Network» evakuiert verfolgte Schwule aus Tschetschenien. Network hilft der Organisation mit Geldspenden.

Im vergangenen Monat veröffentlichte die unabhängige russische Zeitung «Novaya Gazeta» einen schockierenden Artikel: In Tschetschenien findet seit mehreren Wochen eine behördlich orchestrierte Jagd auf Männer statt, die der Homosexualität verdächtigt werden. Die Rede ist von über 100 Männern, die festgenommen und in Geheimgefängnissen gefoltert wurden oder noch immer werden. Es gab auch Berichte über mehrere Todesopfer sowie über Ehrenmorde durch Familienmitglieder.

Öffentlichen Druck aufbauen
Die internationalen Reaktionen blieben nicht aus. Zahlreiche politische Akteure und Organisationen – so zum Beispiel der UN-Menschenrechtsrat, der Generalsekretär des Europarats oder 50 Mitglieder des US-Kongresses – forderten sowohl die russischen als auch die tschetschenischen Behörden dazu auf, dem Treiben Einhalt zu gebieten, die Vorfälle zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die Schwulenverfolgung in der kaukasischen Republik wurde schon im britischen und im deutschen Parlament behandelt, das schwedische Aussenministerium zitierte den russischen Botschafter. «Diese internationale Anteilnahme ist gleichermassen wichtig wie erfreulich», sagt Hans-Peter Fricker, Leiter der Politischen Kommission von Network. «Wenn Menschenrechte und die grundlegendsten humanitären Gebote derart eklatant verletzt werden, dann gilt es, dies publik zu machen und aufs Schärfste zu kritisieren – das erzeugt öffentlichen Druck.» Auch in der Schweiz handelten mehrere Organisationen: In einem gemeinsamen Brief ersuchten Pink Cross, Queeramnesty, TGNS und LOS Bundesrat Didier Burkhalter, «die russischen Behörden an ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen zu erinnern», und auch die Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern verfassten ein Schreiben an den Schweizer Aussenminister. Network wurde ebenfalls aktiv: Die PoKo schickte einerseits einen Brief an die Abteilung Menschliche Sicherheit des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten, andererseits an mehrere Schweizer Europaratsparlamentarier_innen. «Diese Schreiben sind verbunden mit der Bitte, in direkten Kontakten mit den russischen Behörden und in dafür geeigneten internationalen Gremien, zum Beispiel eben im Europarat, Aktionen anzustossen oder solche zu unterstützen», erklärt Hans-Peter.

Grausames Regime
In Russland wie auch in Tschetschenien zeigte man sich bislang unbeeindruckt von den westlichen Protesten. Russlands Präsident Putin empfing Ramzan Kadyrow, den Präsidenten seiner sogenannten teilautonomen Republik Tschetschenien, demonstrativ zu einem Besuch, und Kadyrow selbst kommentierte die Vorwürfe mit blankem Hohn. In Tschetschenien existierten gar keine Homosexuellen, meinte er. Und wenn es sie gäbe, so würden sie von ihren Verwandten dorthin geschickt, von wo sie nicht zurückkehren können. Zudem soll er jüngst in einer russischsprachigen Sendung gesagt haben, er wolle die queere Community im Land bis zum Beginn des Ramadans am 26. Mai vernichten. Für Hans-Peter Fricker sind Kadyrows Äusserungen erschütterndes Zeugnis vom Ausmass der Verachtung, mit der Homosexuelle in Tschetschenien konfrontiert sind. «Das tschetschenische Regime ist als grausam bekannt. Kadyrovs Äusserungen zeigen erneut auf, was für Leute hier am Steuer sitzen.»

Evakuierung der Betroffenen
Um den verfolgten Schwulen zu helfen, führt die russische NGO «Russian LGBT Network» Evakuierungen durch. «Diese Rettungsaktionen haben zurzeit absolute Priorität», sagt Vorstandsmitglied Mikhail Tumasov, den eine Gruppe von Networkern vor eineinhalb Jahren im Rahmen der Vereinsreise nach St. Petersburg kennenlernte. Infolge der Schwulenhatz in Tschetschenien richtete das Russian LGBT Network eigens eine Telefon-Helpline sowie eine E-Mailadresse ein. Über diese Kanäle können sich Bedrohte bei der NGO melden, woraufhin diese die Betroffenen aus dem Gebiet zu befreien versucht. «Bis jetzt haben uns rund 60 Personen kontaktiert, wovon 30 bereits ausser Gefahr gebracht werden konnten», berichtete Tumasov am 19. April. «Wir erhalten zudem fortlaufend neue Anrufe und können nicht abschätzen, wie lange das alles noch andauern wird.»

Network mit Geldspenden
In den meisten Fällen kann die Organisation eine Person innerhalb eines Tages aus der kaukasischen Republik holen. Dabei kostet eine einzelne Evakuierungsaktion laut Tumasov im Schnitt 2’000 Euro. «Wie viel Geld wir benötigen, ist von Fall zu Fall unterschiedlich und wird von vielen Faktoren bestimmt», erklärt er. Manche der Betroffenen bräuchten Dokumente wie Reisepässe, während andere medizinische Betreuung benötigten. «Ausserdem hängen die Kosten davon ab, ob die Person ins Ausland fliehen könne und wolle – und wenn ja, in welches Land.» Tatsache sei, dass es für die meisten Überlebenden eine Gefahr darstelle, in Russland zu bleiben. Laut Tumasov verfügt die NGO zurzeit über die erforderlichen Finanzen, um insgesamt 70 Personen zu retten. Um weitere Evakuierungen zu ermöglichen, hat die PoKo sofort «einen ersten Spendenbeitrag von 5’000 Franken an das Russian LGBT Network überwiesen», so Hans-Peter. Inzwischen haben die zuständige Kommission und der Vorstand weitere Fr. 10’000 aus dem dafür geeigneten Solidaritätsfonds von Network bewilligt.

Ein eigener Beitrag
Wer zur Verbesserung der Lage tschetschenischer Homosexueller beitragen will, kann auf mehrere Weisen helfen. «Zum einen geht es darum, den öffentlichen Druck auf die tschetschenischen Behörden weiterhin zu erhöhen und deren Handlungen an den Pranger zu stellen», erklärt der PoKo-Leiter. Deshalb sei es wichtig, dass man Informationen und Meldungen über die Geschehnisse im Nordkaukasus möglichst weit streue, insbesondere auf den sozialen Medien. «Ausserdem helfen auch Briefe, in denen die Mitglieder einschlägiger nationaler Behörden oder internationaler Gremien dazu aufgefordert werden, öffentlich zum Thema Stellung zu nehmen und ihre Beziehungen und Kanäle zu nutzen, um auf die Situation in Tschetschenien Einfluss zu nehmen.» Und schliesslich, so Hans-Peter, seien auch Geldspenden ans «Russian LGBT Network» äusserst wertvoll. «Diese Organisation setzt sich vehement ein und exponiert sich dabei stark. Die Evakuierungen sind finanziell aufwendig – da hilft jeder Franken.» Damit das für den einzelnen Spender nicht kompliziert wird, können Spenden mit dem Vermerk «Russland» ganz einfach auf das PC-Konto 80-30911-7 von Network einbezahlt werden. Die PoKo leitet diese der russischen Partner-Organisation sogleich weiter.

Spenden können unter diesen Links getätigt werden:
lgbtnet.org/en/endonate
enough-is-enough.eu/
ilga-europe.org/chechnya/what-can-you-do
pinkcross.ch

Text: Markus Stehle

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