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Kultur 1.8.18

«Schwule sind ein schwieriges Zielpublikum»

Networker Christoph Geiser erhält 2018 den Grossen Literaturpreis von Stadt und Kanton Bern. Mit uns hat er unter anderem über gewonnene Preise, sein Gesamtwerk, die schwule Leserschaft und die Fiktion in seiner Arbeit gesprochen.

Bislang wurde der «Grosse Literaturpreis von Stadt und Kanton Bern» erst zweimal vergeben. 2010 gewann ihn Lukas Hartmann und 2014 Matthias Zschokke. Dieses Jahr gebührt die Ehre dem Berner Networker Christoph Geiser. Die öffentliche Preisverleihung findet am Donnerstag, 23. August, in der Aula im PROGR im Rahmen des Berner Literaturfestivals statt. Am Dienstag, 28. August, stellt sich Christoph am AperoPlus der Berner Networker den Fragen von Michael Schläfli.

Christoph, du hast in deinem Leben schon einige Preise gewonnen. Was ist dieses Mal besonders?
Als man mich kurz vor der Veröffentlichung der Medienmitteilung anrief und mir mitteilte, dass ich gewonnen habe, war ich sehr und freudig überrascht. Da ich keinen Hausverlag mehr habe, dachte ich eine Zeitlang, dass ich etwas in Vergessenheit geraten wäre. Darum ist der Preis umso wichtiger für mich und zeigt, dass ich in der Literaturszene durchaus noch präsent bin.

Du wurdest für dein Gesamtwerk ausgezeichnet. Wie würdest du das umschreiben?
Meine ersten Romane sind geprägt von meiner Schweizer grossbürgerlichen Herkunft. Es geht um Fassaden und um ihre Brüchigkeit. Mit «Wüstenfahrt» verarbeitete ich 1984 mein eigenes Coming-Out. Als ich in Berlin arbeitete, kam Aids auf und ich widmete mich einer neuen Thematik: Es ging mir um «Sex und Tod» und «Sex und Gewalt». Die Bilder von Caravaggio und die Schriften von Marquis de Sade inspirierten mich dabei. Heute beschäftigt mich das Alter und die Vereinzelung des Menschen.

Du meinst die Vereinsamung im Alter?
Ja, Vereinzelung und Vereinsamung, das ist für mich das gleiche.

In deinem Werk vermischst du autobiografisches mit Fiktion. Erfindest du keine Geschichten von A bis Z?
Ich würde sagen, der Ausgangspunkt einer neuen Geschichte ist immer etwas Autobiografisches, etwas, das mit meinen eigenen Lebensgeschehnissen zu tun hat. In den späteren Büchern brauchte ich vermehrt Projektionsfiguren für Wünsche, Phantasien, Ängste. Das vermischt sich dann mit dem Gelebten.

Um was geht es dir beim Schreiben?
Es geht mir um das Verhältnis zur Öffentlichkeit. Ich trete mit meinen Lesern in einen Dialog und möchte auch etwas bewirken. Allerdings bin ich heute skeptisch, was die gesellschaftliche Wirkung von literarischem Schreiben betrifft.

Wie meinst du das: in einen Dialog treten? Die Kommunikation ist doch einseitig …
Beim Schreiben dachte ich oft an meine Verlegerin, als ich noch einen festen Verlag hatte, ich denke an die Kritiker und an die Leser oder an eine Gruppe von Lesern und stelle mich nach öffentlichen Auftritten immer der Diskussion mit dem Publikum. Wobei ich sagen muss, dass das schwule Publikum eine schwierige Zielgruppe ist…

Warum?
Es scheint, als hätten schwule Leser ein ausgeprägt starkes Bedürfnis nach Identifikationsfiguren.

Sie wollen Helden oder Opfer sein?
Ja, auf jeden Fall suchen sie oft den moralischen Ansatz.

Und an was arbeitest du zurzeit?
«Verfehlte Orte» sollte eigentlich diesen Herbst erscheinen, es ist ein Buch mit vier Erzählungen – aber ich habe nichts mehr vom Berliner Verleger gehört. Ich habe aufgehört, Romane zu schreiben. In der Erzählung – allenfalls der Novelle – habe ich eine mir passende Erzählform gefunden. In meinem nächsten Projekt geht es um Morde. Dabei geht es mir nicht um die Schuld an sich, sondern darum, was wirklich war.

Ist das Fiktion?
(lacht) Nein, ich erfinde keine Mordfälle. Ich lasse mich von wirklichen Fällen, von denen ich zum Beispiel in der Zeitung lese, inspirieren und spinne eine Geschichte darum herum. Dabei konzentriere ich mich auf die Frage, was zum Zeitpunkt der Tat wirklich geschah.

Sprichst du denn auch mit den Mördern?
Nein, das ist der fiktive Teil der Erzählung. Ich hatte mir das in der Tat überlegt, mich dann aber aus Scheu und Scham dagegen entschieden.

Zum Schluss noch eine Frage zu Network. Warum bist du Mitglied?
Ich bin bei verschiedenen Vereinen mit schwulen Anliegen dabei, auch wenn ich am Vereinsleben eher selten aktiv teilnehme. Ich finde es wichtig, dass auch Kulturschaffende und nicht nur Wirtschaftsvertreter Network angehören. Und ich bin stolz darauf, was Vereine wie Network in Bezug auf die gesellschaftliche Öffnung erreicht haben. Wenn ich da an die Zeiten meines eigenen Coming-Outs zurückdenke … das waren noch ganz andere Zeiten …

Interview: Michel Bossart
Foto: Yvonne Böhler

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