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«Der Urning» 11.11.24

Der erste Schweizer Gay-Aktivist: Jakob Rudolf Forsters Vermächt­nis

«Der Urning – Selbstbewusst schwul vor 1900»
Schauspieler Maik Solbach (stehend), neben ihm sitzend Philipp Hofstetter (weisses Hemd) und René Hornung (Foto: Marvin Zilm)

Jakob Rudolf Forsters Leben im Widerstand war bisher kaum bekannt. Mit der neuen Biografie «Der Urning» ändert sich das. Die beiden Autoren haben ihr Werk an drei network-Anlässen vorgestellt.

«Hauptmann David Saxer in St. Gallen. Diesen liebte ich leidenschaftlich, und doch nur küssen dürfen! Schrecklich.»Das ist einer von zahlreichen Einträgen, die der im Toggenburg aufgewachsene Jakob Rudolf Forster (1853-1926) in sein Heftchen «Meine Geliebten» notiert hat.

Diese Auflistung von sexuellen wie auch platonischen Bekanntschaften wird 1879 bei einer Hausdurchsuchung gefunden und juristisch gegen ihn verwendet. Den Behörden war der Vorkämpfer der bis heute andauernden Emanzipationsbewegung nämlich ein Dorn im Auge. Forster wird bedroht, verfolgt, verurteilt und weggesperrt.

Mit «Der Urning – Selbstbewusst schwul vor 1900» ist Philipp Hofstetter und René Hornung eine minutiöse und hervorragend aufbereitete Dokumentation von Forsters Lebensspuren gelungen. Diese betrachten sie nicht isoliert, sondern im Kontext der damaligen Gesellschaft und vor dem Hintergrund der aufkommenden Sexualforschung.

«Der Urning – Selbstbewusst schwul vor 1900»
Der Barocksaal im «Karl der Grosse» in Zürich (Foto: Thomas Vogel)

Schon immer Urning
Nachdem Forster mit dem Geschäft seines verstorbenen Vaters wirtschaftlich gescheitert war, versuchte er sein Glück in Deutschland. Dort lernte er die Schriften von Karl Heinrich Ulrichs und deren Autor kennen. Laut Ulrichs These gibt es eine dritte Geschlechtskategorie, die er wissenschaftlich legitimierte: den Mann mit einer weiblichen Seele, den «Urning».

Für Forster war klar: Er ist und war schon immer Urning. Kein «Päderast» oder «Sodomit». Der in den Akten als «überaus exaltiert» beschriebene Autodidakt stand dazu – selbst wenn sein Verhalten pathologisiert und kriminalisiert wurde. Er wurde zu Gefängnisstrafen verurteilt, sass ein Jahr in der Arbeitserziehungsanstalt und wurde zweimal in psychiatrische Kliniken eingewiesen.

«Verwirrte Eingaben»
Forster publizierte 1898 die Geschichte seiner Verfolgung in einer Autobiografie, die unbeachtet blieb und in einer Schachtel im Staatsarchiv St. Gallen landete. Sie war mit «verwirrte Eingaben» beschriftet und enthielt auch Forsters Notizheft sowie ein Begnadigungsgesuch.

Der mit der Entsorgung der Schachtel beauftragte Archivar hatte damals Co-Autor und Journalist René Hornung von seinem Fund erzählt. «Viel später stellten wir fest, dass sich noch zahlreiche weitere Materialien über Forster erhalten haben: Prozessakten, psychiatrische Gutachten, Einträge in Gefängnisjournalen, Gemeinderatsprotokolle und einiges mehr», sagt Philipp Hofstetter. Aus dieser Fülle entstand die Idee, ein historisch gehaltvolles Buch über ihn und seine Zeit zu realisieren.

«Der Urning – Selbstbewusst schwul vor 1900»
«Der Urning – Selbstbewusst schwul vor 1900» (Bild: Silvan Hess)

Lob von ganz oben
network veranstaltete in den letzten zwei Monaten gleich drei Buchpräsentationen in drei verschiedenen Regionen. Alle Organisatoren – Mathis Hafner in Basel, Michael Schläfli und Mirko Beetschen in Bern sowie Urs Lanter in Zürich – kamen unabhängig voneinander auf diese Idee.

Mathis erfuhr aus dem Newsletter des Schwulenarchivs Schweiz und Mirko durch die Buchhandlung QueerBooks von der Publikation. Auch Urs ist das Werk in einem Buchladen aufgefallen. Alle drei Anlässe waren ein Erfolg und wurden jeweils von rund zwei bis drei Dutzend Networkern und Gästen besucht.

Das Schicksal dieses «Aktivisten avant la lettre» stosse offensichtlich auf grosses Interesse, bemerkt Philipp Hofstetter, der wie sein Co-Autor network für diese «Promo-Tour» sehr dankbar ist. Sogar die Frage, ob network Forster ein Denkmal setzen sollte, etwa in Form einer Preisvergabe für mutige Taten, wurde aufgeworfen.

Grosses Lob gab es von network-Ehrenmitglied und Gay-Chronist Ernst Ostertag. Er erlaubte uns, seinen Kommentar aus dem Intranet hier zu zitieren: «Dieses Buch ist hervorragend und stützt sich auf bisher unerforschte Quellen. Danke an die Autoren!»

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