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 9.9.24

«Künstliche Intelligenz definiert unser Verständnis von Kreativität neu»

Gilles Stöcklin
«network ist mehr als ein Verein», sagt Neumitglied Gilles Stöcklin (Bild: zVg)

Gilles Stöcklin ist IT-Spezialist bei Tamoil – für Gesprächsstoff ist also gesorgt. Das Neumitglied der Regionalgruppe Lausanne spricht im Interview unter anderem über KI und Öl.

Gilles, du bist network zusammen mit deinem Mann Diego beigetreten. Wie kam es dazu?
Diego hat 10 Jahre lang beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz gearbeitet – eine Erfahrung, die unsere Einstellung zu Gleichheit und Inklusion stark geprägt hat. Es sind Werte, die wir bei network wiedergefunden haben. Bis 2019 führte ich ein ausschliesslich «heterosexuelles Leben». Dann habe ich die LGBTI-Welt entdeckt, neue Dimensionen von mir erkundet und Diego kennengelernt. 2022 haben wir geheiratet. Nachdem wir unsere Liebe öffentlich gemacht hatten, spürten wir das Bedürfnis nach einem Raum, in dem wir unsere Werte ohne Angst vor Verurteilung leben und neue, aufrichtige Freundschaften schliessen konnten. Deshalb sind wir zu network. Es ist für uns mehr als ein Verein; es ist ein Umfeld der Gemeinschaft und Inspiration, in dem wir uns vollkommen zuhause fühlen.

Was gefällt dir an der Regionalgruppe Lausanne?
Die guten Gespräche, der Gemeinschaftsgeist, die Atmosphäre der Offenheit und des Respekts, die Vielfalt der Lebenswege und Erfahrungen. Jedes Mitglied besitzt eine einzigartige Perspektive, welche die Diskussionen bereichert und das kollektive Nachdenken anregt.

Wow, falls network mal gute Quotes für eine Werbekampagne benötigt, wärst du der Richtige dafür!
Danke! (lacht)

Du bist IT-Direktor bei Tamoil Schweiz. Dein Unternehmen vertreibt also Produkte, auf die sehr viele Menschen künftig verzichten wollen…
Wir sind uns der gesellschaftlichen und politischen Erwartungen bewusst: Jahr für Jahr verzeichnen wir einen Rückgang der Verkäufe von raffinierten Erdölprodukten. Tamoil ist zwar im Bereich der fossilen Brennstoffe verwurzelt, hat aber bereits schrittweise die strategische Energiewende eingeleitet. So installieren wir etwa Photovoltaikanlagen auf unseren Tankstellen. Zudem wollen wir mit Ladestationen bei der Wachstumsförderung der Elektromobilität in der Schweiz eine Schlüsselrolle spielen. Die jüngsten Übernahmen und Investitionen in nachhaltige Heiz- und Isolierungstechnologien unterstreichen dieses Streben nach Diversifizierung.

Wie siehst du die künftige Rolle von fossilen Brennstoffen in unserer Gesellschaft?
Besonders Öl wird für die Menschheit noch lange unverzichtbar bleiben. Als Rohstoff für Plastik spielt es beim Verpackungsmaterial oder bei elektronischen Bauteilen eine wichtige Rolle. Zudem ist es die Grundlage von Schmierstoffen, Bitumenbahnen und Düngemitteln. Auch bei der Herstellung von Polyester und manchmal sogar von Medikamenten kommt es zum Einsatz. Eine allmähliche Verringerung der Abhängigkeit von Öl ist jedoch wichtig und bereits voll im Gang. Ich denke etwa an Kraftstoffe wie E5, B7 oder E85, welche fossile Brennstoffe durch erneuerbare Komponenten aus Pflanzenölen oder recycelten tierischen Fetten ergänzen. Parallel dazu läuft die Förderung von Brennstoffzellen, die Wasserstoff als Energiequelle nutzen. Dank solcher Innovationen wird die Nutzung von Öl als Energiequelle abnehmen – auch wenn dieser Prozess noch Jahrzehnte dauern könnte.

Als IT-Spezialist hörst du momentan bestimmt viele Fragen zu KI. Jetzt kommt noch eine: Wie wird Künstliche Intelligenz die Arbeitswelt verändern?
KI übertrifft sogar die Auswirkungen, die das Aufkommen des Internets seinerzeit hatte. Karrieren werden dynamischer werden und eine ständige Anpassung sowie eine erhöhte Flexibilität erfordern. Es werden neue Arbeitsplätze in technischen Bereichen wie Datenengineering, Sicherheit, Ethik oder der Entwicklung von KI-Modellen entstehen. Viele repetitive und regelbasierte Aufgaben werden automatisiert: Buchhaltung, Datenerfassung, Kundenservice und sogar gewisse juristische oder medizinische Tätigkeiten.

Auf der anderen Seite des Kreativitätsspektrums erledigt die KI aber auch immer mehr Jobs.
Genau, sie kann selber Ideen für Inhalte generieren, Videos bearbeiten, Musik komponieren, Zeichnungen entwerfen. Sie wird wohl unser Verständnis von Kreativität neu definieren.

Einigen Menschen macht dies Angst.
Das ist normal. Aber es ist wichtig, sich damit auseinanderzusetzen und diese Werkzeuge ins Berufsleben zu integrieren. Sich über den technischen Fortschritt auf dem Laufenden zu halten, die emotionale Intelligenz sowie Vielseitigkeit zu erhöhen und zukünftige Veränderungen vorauszusehen. Dies werden entscheidende Faktoren sein, um diesen Übergang mit Gelassenheit zu meistern und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

Schliessen wir mit einer beschwingten Note: Was hast du für einen Musikgeschmack?
Der reicht vom gregorianischen Gesang über Pop bis hin zu Filmmusik. Eine grosse Vorliebe habe ich für klassische Musik, insbesondere für Vokalpolyphonie und Opern. Ich liebe die leichten und spielerischen Werke Jacques Offenbachs. Sie decken geschickt die Schwächen des Bürgertums, die Absurditäten der politischen Institutionen und die Heuchelei des Zweiten Kaiserreichs auf – Züge, die auch in unserer heutigen Gesellschaft wiederzufinden sind.

Machst du auch selber Musik?
Ich bin in den beiden Ensembles Choral de la Côte und Voix en Fête aktiv. Für mich ist Musik ein emotionaler Katalysator: Sie verstärkt meine Emotionen und hilft mir, komplexe Gefühle auszudrücken, die schwer in Worte zu fassen sind.

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