fbpx Aller au contenu principal

Im Fokus 7.11.23

«Meine Schwester kennt Menschen, deren Kinder ermordet wurden»

Israel
Israel befindet sich im Krieg (Symbolbild: Unsplash / Taylor Brandon)

Der Basler Networker Rolf Stürm ist mit seinen Angehörigen in Israel täglich in Kontakt. Im Interview spricht er über die Lage vor Ort und die Angst vor wachsendem Antisemitismus.

Am 7. Oktober 2023 startete die islamistische Hamas aus dem Gazastreifen einen Terrorangriff auf Israel. Es handelt sich um den grössten Massenmord an Juden nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte daraufhin den Kriegszustand.

LGBTI-Organisationen unterstreichen in dieser Krisenzeit ihre Zugehörigkeit und Verbundenheit mit der israelischen Gesellschaft durch solidarisches Handeln. Wie die Washington Blade berichtet, sammle Israels nationale LGBTI-Organisation Aguda etwa Sachspenden und helfe bei der Evakuierung gefährdeter Menschen. Ma’avarim, eine israelische Organisation für trans Rechte, arbeitet zudem daran, dass trans Menschen während des Krieges weiterhin Zugang zur Gesundheitsversorgung haben.

Der Basler Networker Rolf Stürm, Delegierter am «Runden Tisch der Religionen beider Basel» und Kontaktmann der network-Gruppe «Religionsgemeinschaften», hat sowohl Familienangehörige als auch Freund:innen in Israel. Er ist zudem mit der israelischen LGBTI-Dachorganisation Aguda bekannt: Vor zwei Jahren hat er in Basel mit dem Aktivisten Tomer Barash den Anlass «Pride in the Living Room» durchgeführt.

Wir haben Rolf einige Fragen zur Situation in Israel gestellt. (Die Antworten beziehen sich auf den Stand vom 27. Oktober 2023.)

Rolf Stürm (Bild: zVg)
Rolf Stürm (Bild: zVg)

Rolf, stehst du nun häufiger in Kontakt mit deiner Familie und deinen Freund:innen in Israel? Sind sie von den Attacken direkt betroffen?
Ich bin täglich in Kontakt mit meiner Schwester, die in Nordisrael lebt. Alarme wegen möglicher Hisbollah-Raketen zwingt sie und ihre Enkelkinder zeitweise in den Schutzraum. Bis jetzt gab es aber noch keine Einschläge in ihrer Umgebung. Ihr Sohn ist als Major eines Bautrupps eingerückt, um an der Südgrenze Zivileinrichtungen zu reparieren. Ihre Tochter engagiert sich bei diversen Hilfsaktionen. Meine Schwester kennt Menschen, deren Kinder bzw. Grosskinder von der Hamas ermordet oder verschleppt worden sind. Trotz bedrückter Stimmung versucht die Bevölkerung, zu einem halbwegs normalen Alltag zurückzufinden.

Wie ist die LGBTI-Community in Israel davon betroffen?
Ich habe auf Internetseiten Nachrufe auf ermordete schwule Festivalteilnehmer gelesen. Bei den Informationen über Verschleppte gibt es keine Angaben über deren sexuelle Orientierung; das würde sie bei den schwulenhassenden Hamas-Terroristen nur noch mehr gefährden. Da die israelische Armee die allgemeine Wehrpflicht und keine Diskriminierung oder Privilegierung aufgrund der sexuellen Orientierung kennt, sind viele Schwule und Lesben eingerückt. Zwar ist die LGBTI-Community in Tel Aviv viel sichtbarer ist als etwa in Jerusalem, schwule Juden und Araber gibt es jedoch im ganzen Land. Die Hamas tötete und verschleppte ohne Rücksicht auf Religion, Rasse, Alter, Geschlecht, Herkunft oder sexuelle Orientierung; sie mordete absolut «inklusiv».

Es ist schwierig, verlässliche Informationen zu erhalten. Wie informierst du dich über die Lage vor Ort und das militärische Geschehen?
Politische und gesellschaftliche Informationen entnehme ich dem täglichen Newsletter und dem Podcast von «tachles», dem jüdischen Wochenmagazin der Schweiz; den Rundschreiben der israelischen Protestbewegung und meiner Facebook-Blase. Diese alle sind, wie ich, Netanyahu-kritisch und gegen die homophoben Minister Ben-Gvir, Smotrich und Amoz, jetzt gerade aber im Burgfrieden mit dem Kriegskabinett. Über die militärische Lage informiert mich ein schwuler Berufsoffizier der Schweizer Armee, der Israel und seine Armee seit Jahren kennt. Wir sind beide Mitglieder der Queer Officers. Dazu noch das Radio SRF und Tageszeitungen.

Fürchtest du dich persönlich vor verstärktem Antisemitismus in der Gesellschaft? Oder vor einer Vertiefung der Spaltung zwischen Islam und Judentum?
Da ich keine jüdischen Kennzeichen wie Kippa, Schläfenlocken oder Kaftan trage, bin ich nicht als Jude erkennbar. Ich befürchte daher keine Gewalt gegen mich persönlich. In meinem engeren und weiteren Umfeld bin ich als schwuler liberaler Jude bekannt. Das Diskussionsklima wird sich wohl verschärfen, vor allem mit meinen muslimischen Bekannten. Ich bin seit acht Jahren mit einem muslimischen Araber aus dem Elsass liiert. Wir haben schon vor dem Krieg muslimische Quartiere in Mulhouse, Strasbourg, Paris oder Bruxelles, Marseille gemieden. Als schwuler Muslim hat er keinerlei Sympathien mit den Hamas-Terroristen und klassiert deren Verbrechen als Beschmutzung des Islams.

Newsletter-Anmeldung