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Politik 2.9.18

Schlagwort «fremde Richter» ist verfänglich

Schon in wenigen Monaten kommt die sogenannte «Selbstbestimmungsinitiative» an die Urne. Im Interview erklärt Hans-Peter Fricker von der PoKo die Hintergründe und warum es wichtig ist, dass die Initiative abgelehnt wird.

Hans-Peter, am 25. November stimmen wir über die Initiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» ab. Die Initiative ist besser unter dem Namen «Selbstbestimmungsinitiative» bekannt. Worum geht es?
Die Initianten wollen den absoluten Vorrang der Schweizerischen Bundesverfassung gegenüber dem Völkerrecht starr in der Verfassung verankern. Heute gilt überwiegend die Praxis, dass die von der Schweiz abgeschlossenen Verträge mit anderen Staaten oder mit Staatengemeinschaften, zum Beispiel bezüglich Menschenrechtsgarantien, dem Schweizer Recht übergeordnet sind. Deshalb verlangen sie, dass ein völkerrechtlicher Vertrag (beispielsweise die Europäische Menschenrechtskonvention, oder kurz: EMRK) nicht angewendet und sogar gekündigt werden muss, wenn eine vom Volk angenommene Volksinitiative nicht mit ihm übereinstimmt.

Network hat sich klar gegen die Initiative ausgesprochen. Warum?
Eine von der Schweiz eingegangene völkerrechtliche Verpflichtung ist die erwähnte EMRK. Diese hat gerade für den Schutz der Freiheits- und Grundrechte von Minderheiten wie uns Schwule eine grosse Bedeutung. Beschliesst das Parlament oder die Mehrheit der Stimmbevölkerung ein schwulenfeindliches Gesetz oder eine diskriminierende Verfassungsbestimmung, so kann jeder Betroffene heute beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen einen solchen Beschluss Klage erheben, und er wird mit grosser Wahrscheinlichkeit Recht bekommen. Nach Annahme der Initiative ist das nicht mehr möglich: eine Mehrheit des Volkes oder des Parlamentes könnte per Gesetz oder Verfassungsbestimmung die in der EMRK verankerten Menschenrechte verletzen, ohne dass wir uns dagegen wehren könnten. Diese absolute Macht der Mehrheit untergräbt Demokratie und Rechtsstaat und gefährdet die Rechte von uns Minderheiten.

Sind denn diese «fremden Richter» tatsächlich so fremd oder kann die Schweiz bei ihrer Ernennung mitbestimmen?  Oder geht es einfach um den Pass des Richters?
Alle 47 europäischen Staaten, welche die EMRK unterzeichnet haben (nur Weissrussland fehlt!), können je einen Richter oder eine Richterin stellen. Im Moment hat Frau Prof. Helen Keller, Professorin für öffentliches Recht an der Universität Zürich, den Schweizer Sitz inne. Diese Wahl wird von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vorgenommen, beruht aber auf einem Dreier-Vorschlag des Schweizer Bundesrates.

Ein Initiativartikel besagt: «Bund und Kantone beachten das Völkerrecht. Die Bundesverfassung steht über dem Völkerrecht und geht ihm vor, unter Vorbehalt der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.» Widerspricht denn unsere Bundesverfassung überhaupt dem Völkerrecht?
Nein, die Bundesverfassung widerspricht dem Völkerrecht nicht. Es hat in letzter Zeit aber immer wieder harte Auseinandersetzungen gegeben bei der Umsetzung des Wortlauts von Verfassungsbestimmungen, die durch Initiativen lanciert und von der Schweizer Stimmbevölkerung angenommen wurden, so zum Beispiel bei der Pädophilen-Initiative und bei der Ausschaffungs-Initiative. Diese verlangt die «automatische Ausschaffung» von Ausländern, wenn sie bestimmte Delikte, auch relativ triviale, begangen haben. Eine Ausschaffung ohne Gerichtsverfahren verstösst gemäss Meinung zahlreicher Rechtsexperten aber gegen einen wichtigen Grundsatz des Völkerrechts, das auch die Schweiz akzeptiert hat.

Wo und vom wem wird oder wurde denn das Völkerrecht gemacht?
Unter Völkerrecht versteht man die Gesamtheit der auf internationaler Ebene geltenden rechtsverbindlichen Regeln. Es beruht auf den Werten der Charta der Vereinten Nationen und hat eine ordnende Funktion. Es regelt das Verhalten der Staaten untereinander, es vereinfacht die internationale Zusammenarbeit und macht sie berechenbar. Zu den zentralen Aufgaben des Völkerrechts gehört es, die Grundlagen für Frieden und Stabilität zu schaffen. Daran hat gerade die Schweiz ein eminentes Interesse:

Wer steht hinter der Initiative? Von wem und welchen Parteien wird sie unterstützt?
Initiator ist SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt. Er konnte die SVP-Parteileitung (damals im wesentlichen Christoph Blocher) von seinem Projekt überzeugen. Die SVP ist aber auch heute noch die einzige Partei, welche die SBI unterstützt.

Deine Prognose: Was denkst du, wie die Abstimmung ausgehen wird?
Das ist heute, drei Monate vor der Abstimmung, noch schwer zu sagen. Zwar werden sich alle übrigen Parteien, die Wirtschaft und eine grosse Zahl von Organisationen aus der Zivilgesellschaft wie Amnesty International, Operation Libero oder eben die LGBTI-Verbände gegen die Initiative wehren. Bei denjenigen, die sich nicht genauer mit der Materie befassen, könnte aber das Schlagwort von den «fremden Richtern» schon verfangen. Es lohnt sich also für uns auf jeden Fall, unser Umfeld davon zu überzeugen, an die Urne zu gehen und ein klares Nein einzulegen!

Interview: Michel Bossart

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