Wo steht die Schwulenbewegung heute, wie sah sie früher aus? Diese Fragen wurden letzten Monat im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Zürich besprochen.
Rund 60 Personen fanden sich am 8. Juni in den Räumlichkeiten des Zürcher Beratungsunternehmens «Accenture» ein, als im Rahmen einer Podiumsveranstaltung zum Thema «Schwulenbewegung – gestern und heute» diskutiert wurde. Organisiert worden war der Anlass vom Verein schwulengeschichte.ch. «Der Saal war bis auf den letzten Platz voll», sagt Vereinspräsident und Network-Mitglied Christian D. Grichting. «Über das grosse Interesse haben wir uns sehr gefreut».
Auf dem Podium sassen Marcel Tappeiner, Vize-Präsident der Letzi-Junxx, Michel Rudin, Co-Präsident von Pink Cross sowie die Networker Ernst Ostertag und Daniel Bruttin. Als Moderator der Gesprächsrunde fungierte Patrick Rohr. «Mit dieser Besetzung konnten wir Vertreter unterschiedlicher Generationen für das Podium gewinnen, und so über 60 Jahre Schweizer Schwulengeschichte abdecken», sagt Christian.
Was ist geschehen, was passiert jetzt?
«In der Diskussion wurde eine Auslegeordnung vorgenommen», erzählt Networker Lars Baumgartner, der als Vorstandsmitglied von schwulengeschichte.ch die Podiumsrunde organisiert hat. Ernst erläuterte, wie die Schwulenbewegung in jenen Tagen aussah, als «Der Kreis» aktiv war. Daniel sprach über seinen Einstieg in die Thematik kurz nach 1968, während Marcel über die Zeit der Aidskrise Auskunft gab. Demgegenüber reflektierte Michel den derzeitigen Stand der Dinge. Das Thema Familie beschäftige momentan, sagt Lars im Rückblick auf das Besprochene. «Es gibt eine neue Generation von LGBT-Personen, denen die Stärkung und Gleichstellung von Regenbogenfamilien sehr am Herzen liegt.»
Früher: Weniger Einheitlichkeit
Im Gespräch wurden auch Unterschiede zwischen früher und heute herausgeschält. «In vergangenen Tagen wurde innerhalb der Community kontroverser darüber debattiert, welche Ziele man erreichen wollte», fasst Lars zusammen. «Die gegenwärtige Schwulenbewegung ist homogener.» So sei heute zum Beispiel für die meisten LGBTs klar, dass sie die Ehe für alle fordern, während man im Zuge der 68er-Bewegung vermehrt darüber gesprochen habe, ob man diese Institution für erstrebenswert halte. «Die Diskussion zeigte etwas sehr schön auf: Je nachdem, in welcher Zeit man aufwächst und sozialisiert wird, setzt man unterschiedliche Prioritäten.»
Keine Benachteiligung mehr
Ein weiterer Unterschied wurde darin gesehen, dass «Homosexualität in der Schweiz grösstenteils kein Tabuthema mehr ist», sagt Christian D. Grichting. Das führe unter anderem dazu, dass heute sehr viel offener diskutiert werde. «Unterdessen kann man sich exponieren und für LGBT-Themen einsetzen, ohne Nachteile gewärtigen zu müssen», so Lars Baumgartner. «Früher hingegen konnte es ein Risiko darstellen, sich offen für die Belange von Homosexuellen zu engagieren.»
Arbeit auch innerhalb der Community
Darüber hinaus ist klar zu Tage getreten, dass auch weiterhin eine starke Bewegung vonnöten ist. Zum einen auf gesellschaftspolitischer Ebene, doch auch innerhalb der Community bestehe Handlungsbedarf, erklärt Lars. «Michel machte darauf aufmerksam, dass verschiedene Untergruppen in der LGBT-Gemeinschaft bisweilen diskriminiert werden. Gegen diese Tendenzen muss man vorgehen.»
Alles in allem ziehen Christian D. Grichting und Lars Baumgartner ein äusserst positives Fazit zum Abend. «Ich fand die Diskussion extrem spannend und vielseitig», so Lars. Sie habe aufgezeigt, wie bedeutend es sei, den persönlichen Hintergrund zu reflektieren. «Dadurch erhält man ein Bewusstsein dafür, warum genau man sich für die jeweiligen Themen einsetzt. Dies schafft gegenseitiges Verständnis und hilft, künftige Ziele zu erreichen.»
Text: Markus Stehle