Ab ins Museum: Das Naturhistorische Museum Bern zeigt eine Ausstellung zur Queerness und Vielfalt der Welt. Networker Henry Hohmann hat die Ausstellung mitgestaltet und beantwortet Fragen dazu.
Biologische Erkenntnisse und gesellschaftliche Debatten gehen oft nicht im Gleichschritt: Unter dem Titel «Queer – Vielfalt ist unsere Natur» ist im Naturhistorischen Museum Bern eine Ausstellung zu sehen, die den Bogen zwischen Natur und Kultur spannt und der Sache auf den Grund geht. Das Geschlecht bei Menschen ist nicht immer eindeutig, männlich und weiblich sind keine festen Kategorien, sondern eher zwei Pole: so weit, so gut. Doch da steckt noch viel mehr dahinter: Die Ausstellung schickt die Besucher auf eine Entdeckungsreise ins «Queerreich» ,eine Welt, die die bunte Fülle in Natur und Gesellschaft aufzeigt, die beim Thema Geschlecht und Sexualität zu finden ist.
In verschiedenen Zonen kann auf dem Rundgang durchs Museum die ganz Queerness in der Natur erkundet oder der Unterschied zwischen gender und sex ergründet werden.
Network Bern lädt Networker aus der ganzen Schweiz ein am Samstag, 19. Februar, die Ausstellung gemeinsam zu besuchen. Die Ausstellung ist in deutscher und französischer Sprache beschildert und beschrieben. Anmeldung (auch zum Rahmenprogramm) über den Doodle-Link im Intranet.
Henry Hohmann, Networker, Mitbegründer und ehemaliger Co-Präsident des Transgender Network Switzerland (TGNS), hat als Mitglied des Beirats die Ausstellung eng begleitet und wird vor der individuellen Besichtigung eine kleine Einführung in die Thematik geben.
Henry, was war deine Aufgabe als Mitglied des Beirats?
In erster Linie ist der Beirat dazu da, das Konzept der Ausstellung anzuschauen und auch kritisch zu hinterfragen. «Trägt» die Idee? Wie sind Umsetzung und Gestaltung? Wer soll mit der Ausstellung angesprochen werden? Der Beirat hat den Blick von aussen und stellt damit eine Ergänzung zur museumsinternen Konzeption dar. Weil ich aber zugleich auch als Fachperson im Vorfeld beteiligt war, ergab sich noch eine Folgeaufgabe: Ich durfte die Ausstellungstexte lektorieren. Denn gerade bei diesem sensiblen Thema ist es wichtig, die richtigen Bezeichnungen und Worte für queere Menschen und die geschlechtliche Vielfalt und sexuelle Orientierung zu nutzen.
Von der Idee bis zur fertigen Ausstellung: Wie lange hat das gedauert und welche Hürden und Herausforderungen galt es zu meistern?
Die Vorbereitung einer Ausstellung dauert immer viel länger, als man so denkt! Im September 2019 habe ich bei einem ersten Fachaustausch den Kurator Simon Jäggi kennengelernt. Der Beirat traf sich dann erstmals Anfang 2020, damals war man schon im Konzept recht weit gekommen. Ein zweites Treffen fand covid-bedingt nur online statt. Da ging es schon um den Feinschliff der einzelnen Abschnitte und Abteilungen. Für das Naturhistorische Museum ist es eine mutige Idee, eine Ausstellung zum Thema «Queer» anzugehen, die sich ja in wesentlichen Teilen mit dem Menschen beschäftigt. Eine der grossen Herausforderungen war es zudem, eine grosse Ausstellung zu planen, ohne genau zu wissen, wie und wann sie tatsächlich eröffnet werden kann. Doch zum Schluss ging doch alles gut: Die Ausstellung wurde Anfang April 2020, wenn auch nur in kleinem Rahmen, eröffnet.
Bist du mit dem Endresultat zufrieden?
Ich bin sehr zufrieden – und der Erfolg der Ausstellung zeigt auch, dass hier der Nerv der Zeit getroffen wurde. Nicht zuletzt deswegen ist die Ausstellung auch mit dem Prix Expo der Akademie der Naturwissenschaften ausgezeichnet worden. Einer der Kernpunkte des Konzepts ist die Entdeckungsreise, zu der alle Besuchenden in der Ausstellung aufgerufen sind – deshalb gibt es auch keine feste Abfolge im Ablauf der Ausstellung. Zudem führen die Entdeckungen dazu, dass alle auch ihr eigenes Verständnis von Geschlecht hinterfragen sollen. Was ist weiblich? Was ist männlich? Und was gibt es noch alles in der Natur und beim Menschen bezüglich des Geschlechts zu entdecken?
Gibt es etwas, das selbst du erst während der Arbeit an dieser Ausstellung über die Queerness der Welt erfahren hast?
Oh, sogar sehr viel! Wenn ich vielleicht mit den Themen sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität beim Menschen einigermassen sattelfest bin, so haben mich vor allem die Erkenntnisse aus dem Tierreich staunen lassen. Wenn jetzt noch jemand sagt, variable Geschlechter oder gleichgeschlechtliches Verhalten seien «unnatürlich», da sie in der Natur nicht vorkommen, dann ist ein Besuch der Ausstellung dringend empfohlen. Da gibt es nämlich so ziemlich alles…
Hast du eine «Lieblingserkenntnis» beziehungsweise ein «Lieblingsexponat»?
Mein Lieblingsexponat ist der Geschlechterweltmeister: der gemeine Spaltblättling. Das ist ein Pilz, also ein Wesen zwischen Pflanze und Tier, und der hat tatsächlich 23328 verschiedene Geschlechter Die Chance, dass er einmal auf einen «gleichgeschlechtlichen» Partner stösst, dürfte also ausserordentlich gering sein. Und die zweite mir neue Erkenntnis war: Die Natur experimentiert ständig und bringt immer neue Formen oder Verhaltensweisen hervor, die scheinbar sinnlos sind. Während der Mensch doch andererseits überall einen Zweck erkennen möchte und daher die Welt in gut, fortpflanzungsfähig und nützlich einteilen möchte…
Text: Michel Bossart