Trotz drohender Todesstrafe wollten die Schweizer Behörden einen schwulen Mann in den Iran zurückschicken. Nun hat er vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewonnen – auch dank network.
Nachdem Kian (Name geändert) wegen seiner Homosexualität von seiner eigenen Familie bedroht wurde, sah er sich gezwungen, seine Heimat Iran zu verlassen. Eine dramatische Flucht führte ihn über die Türkei und Serbien bis ins Tessin.
Das war im Jahr 2019. Seither kämpft der heute 34-Jährige in der Schweiz nicht nur um sein Bleiberecht, sondern auch um seine Identität als schwuler Mann. Das Staatssekretariat für Migration wollte Kian nämlich mit folgender Begründung ausschaffen: Würde er seine Homosexualität geheim halten, könnte er gefahrlos im Iran leben. «Völlig absurd», findet der Tessiner Regionalleiter Emilio Motta. «Mit diesem Argument könnten religiös Verfolgte ja einfach ihre Religion und politisch Verfolgte ihre Meinung verstecken.»
network und andere Organisationen sowie ein ganzes Team von Anwält:innen haben nun am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Wende in diesem Fall herbeigeführt.
Treffen in Chiasso
Es war die humanitäre Hilfsorganisation SOS Ticino, die Emilio auf den Fall aufmerksam machte. Kian wurde zu dieser Zeit bereits durch den Psychologen und Networker Andrea Locher von Queeramnesty betreut.
Emilio reiste nach Chiasso, um Kian und seine Geschichte kennenzulernen. «Ein sehr berührendes Treffen, das mich dazu bewegte, sofort unseren Vorstand und den Solifonds zu kontaktieren, um herauszufinden, wie wir ihm am effektivsten helfen können», berichtet Emilio. Er war «sehr beeindruckt» davon, welche Hilfs- und Handlungsbereitschaft sämtliche angefragten Networker an den Tag gelegt hätten.
Es habe sich rasch gezeigt, dass die Beteiligung an den Rechtskosten die sinnvollste Unterstützung war, die network leisten konnte. So haben die Organisationen schliesslich ein Team von Anwält:innen für die Berufung in Strassburg engagiert. Zu ihnen gehört auch Stephanie Motz, deren Leistung Emilio besonders hervorheben möchte.
«Bereicherung für unser Land»
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Schweizer Behörden mit ihrem Urteil vom 12. November 2024 «ermahnt» und aufgefordert, den Fall erneut zu prüfen. Dabei soll berücksichtigt werden, wie sich die Lebensbedingungen für LGBTI-Menschen seit Kians Flucht nochmals verschlechtert haben. Emilio fragt sich zurecht: «Wenn Frauen verhaftet, gefoltert und getötet werden, weil sie das Kopftuch nicht korrekt tragen – was wird dann mit einem homosexuellen Mann passieren?» Der Iran ist eines von weltweit neun Ländern, in denen Männern aufgrund homosexueller Handlungen die Todesstrafe droht.
Die Chancen, dass die Schweizer Behörden nach diesem Urteil einlenken und Kian hierbleiben darf, stehen jetzt gut. In der Zwischenzeit engagiert sich Kian weiter ehrenamtlich bei Queeramnesty und bringt sich selbst Italienisch bei – er möchte sich im Tessin eine Zukunft aufbauen. «Er ist ein besonderer Mensch und eine Bereicherung für unser Land», sagt Emilio. Er wünschte sich, Kian könnte sich in der Schweiz sicher und willkommen fühlen.
Und was wünscht sich Kian selbst? «Ein ganz normales Leben», antwortete er in einem Tamedia-Interview auf diese Frage. So ein Leben ist für ihn allerdings nur in der Schweiz und nicht im Iran denkbar: «Ich war dieses Jahr an der Pride in Zürich und habe gesehen, dass man hier ein angstfreies Leben führen kann. Die Leute tanzten ausgelassen und trugen, was ihnen gefällt. Egal, wer man ist, man muss sich hier nicht verstecken. Hätte mir jemand davon erzählt, als ich noch im Iran war – ich hätte es nicht geglaubt.»